Törnberichte

St.Lawrence-Strom

  • Dienstag, 24. August 2010
Hier geht's zur Fotogalerie

Wie die Zeit vergeht! Schon darf ich dir wieder von unseren Erlebnissen berichten, die sich in den letzten Wochen ereignet haben.

Nach der Ferienstimmung inmitten der wunderschönen Inselwelt am Anfang des St. Lawrence Stroms war wieder mal Arbeiten angesagt. Die kommenden Tage müssen wir einige wirklich grosse Schleusen passieren, die nicht nur Freizeitschiffe, sondern auch riesige Frachter von der Höhe des Ontariosees auf Meereshöhe hinunterbringen.

Wie froh sind wir um die Anwesenheit unserer Familienmitglieder und das Zusammenspiel dieser ganzen Crew, vor allem in der einen etwas prekären Situation. Stell dir das folgendermassen vor: wir fahren in eine Schleuse ein. Der Schleusenwärter weisst jedem Schiff einen Platz zu und übergibt der Crew zwei Leinen, die oben am Schleusenrand befestigt sind. Wir selber halten Samuri mit diesen Leinen am Bug und am Heck während des Sinkprozesses in der Schleuse stabil, geben natürlich immer etwas Leine nach, weil sich ja der Wasserspiegel senkt. Plötzlich reisst die Heckleine wegen einer einfallenden Böe und unser Schiff driftet durch die Strömung des Wassers und dem herrschenden Wind in der Schleuse mit dem Heck Richtung gegenüberliegende Wand. Folgende Kettenreaktionen laufen innert Sekunden ab: ich lasse einen Schrei los, Christian rennt, schaltet den Motor ein und hält das Heck in Schach, Irène hält mit ganzer Kraft die Bugleine, Sören schreit nach einer neuen Leine, der Schleusenwärter wirft, Dario hechtet und fängt, ich binde wieder an. Uff! Gerettet! Wir sind doch wahrhaftig ein Dreamteam!

Der St.Lawrence Strom ist nicht ohne. Der kann ja ganz kräftig ziehen. Die Motoren unserer Samuri kommen bei der Einfahrt nach Montreal gegen die ziehenden 5 Knoten recht ins Pusten. Die Skyline der Stadt finden wir nicht umwerfend. Beim Erkunden der Stadt entdecken wir aber schnell den Charme dieser Metropole. Schon der erste Eindruck erinnert uns an Frankreich. Strassenmusikanten lassen uns leise Melodien mitsummen, und gerne schauen wir über die Schultern der Portraitmaler, die in klassischem oder Karikatur-Stil innert Minuten die menschlichen Gesichtszüge ihrer Models aufs Papier kritzeln. Die kleinen Läden mit allerlei Souvenirs oder die zahlreichen Gallerien bereichern neben unzähligen Beizli die Gassen der Altstadt.

Eine Stadttour mit unserer Reiseführerin Irène bringt uns die Geschichte Montreals näher. Was uns so fasziniert ist die „Unterwelt“. Es gibt hier 1800 Geschäfte unter dem Boden. Im Winter können die Menschen im T-Shirt von zuhause aus mit der Metro ins Zentrum fahren und haben einen direkten Zugang zu ihrem Arbeitsort oder zum Einkaufen. Sie müssen also nie durch die eisige Kälte.

Ganz spontan kommen wir in den Genuss eines Openairkonzerts der besonderen Klasse. Es ist Tradition, dass das Symphonie Orchester von Montreal im Olympischen Park der Stadt freie Konzerte gibt. Das heutige Motto ist „The Americas“. So lauschen wir unter freiem Sternenhimmel im Gras liegend den fantastischen Klängen der Musiker und hören Auszüge aus den Werken von Gershwin (an American in Paris), Bernstein (West Side Story) und Dvoràk (die neue Welt).

Das war ein unvergesslicher Höhepunkt und zugleich Sörens Abschiedsabend. Seine Zeit mit uns ist leider zu ende; es gibt hoffentlich ein baldiges Wiedersehen auf der Samuri!

Anderntags schauen wir uns die stilvollen Anlagen des Japanischen und Chinesischen Gartens an. Es ist ein Erlebnis, die beiden unterschiedlichen Gartengestaltungen mal eins zu eins vergleichen und fühlen zu können. Der Japanische Garten bringt uns in eine klare, eher etwas kühle, aber sehr angenehme Stille, der Chinesische Garten im Gegensatz weckt Lebhaftigkeit und Kommunikation.

1. August, Schweizer Nationaltag. So gegen Mittag sagen wir Irène und Dario adieu, sie fliegen von Montreal heimwärts. Es ist einmal mehr ein trauriger Moment des Abschieds, der seinen Raum und seine Zeit zur Verarbeitung braucht. Die wieder auf zwei Personen reduzierte Crew stösst nichts desto trotz am Abend bei rotem Kerzenlicht auf das Schweizerland an.

Unsere Reise führt immer noch weiter Richtung Norden. Unser nächstes Ziel ist Québec. Christian studiert minuziös die Strömung des St.Lawrence, berechnet die Tide und kristallisiert dadurch die besten Reisezeiten für uns heraus, damit wir optimal von den Gesetzen der Natur unterstützt werden. So kann es sein, dass wir an einem Morgen schon nachts um 2 Uhr losfahren, anderntags hissen wir den Anker erst gegen 11 Uhr. Also der Alltagstrott hat in dieser Beziehung noch nicht Einzug gehalten.

Wir haben ein unglaubliches Wetterglück. Heiss strahlt die Sonne bei der Einfahrt nach Québec. Schon von weit her sehen wir den märchenhaften, verträumten Bau des Fairmont Hotels, das Wahrzeichen über der Stadt. Da wir uns in einem Führer im voraus über Québec informiert haben, schlendern wir schon bald auf den Wegen des ersten vorgeschlagenen Stadtrundgangs. Und wir sind überwältigt. Es wimmelt zwar von Touristen, viele kleine Läden liegen Tür an Tür, doch die Stadt hat ihren Stil. Die Bürger stehen zu ihrer Kultur und zeigen ihre Geschichte in autarken Kleidern und Situationen in der ganzen Stadt. Die Produkte, die hier verkauft werden, sind qualitativ hochwertig und lokal angefertigt oder gewachsen. Das erleben wir erneut auf dem Handwerkermarkt und dem Gemüse- und Käsemarkt. Gegenüber der zweisprachigen Stadt Montreal wird in Québec ausschliesslich französisch gesprochen. Die frankofone Kultur ist mittlerweile so stark verwurzelt, dass wir sogar Einwohner antreffen, die kein Englisch sprechen.

Eine besondere und sehr eindrückliche Attraktion von Québec ist die all abendliche Vorstellung einer Tonbildschau auf ein sicher 500 Meter breites Lagerhaus im Hafengelände. Wie wir erfahren haben, kam die Produktion dieses Werkes zur 400-Jahr-Feier der Stadt sehr teuer zu stehen. So hat die Stadtverwaltung beschlossen, sie täglich für die Touristen abspielen zu lassen. Den Inhalt dieses Werkes haben wir zwar nur sinngemäss verstanden, doch die Grösse dieser „Leinwand“ und die ganze Installation mit den Lautsprechern über dem ganzen Hafenbecken waren doch ein imposantes Erlebnis.

Totem - dies das Motto des Cirque du Soleil. Wir hatten das Glück, zwei der letzten Tickets für die Show zu erhaschen und bewunderten drei Stunden lang den unglaublichen Mut, die feinste Präzision und die über Jahre antrainierte Fertigkeit aller Weltklassekünstler.

Reisen ist ein stetes Loslassen von schönen Orten und von Beziehungen, die sich irgendwo ergeben haben. So sagen wir auch Sylvia und Bill adieu, einem Ehepaar aus Florida, die mit ihrer selbstgebauten EOS auf dem St.Lawrence unterwegs sind.

Unser Weg führt uns immer mehr Richtung Golf St.Lawrence. Wir sehen kaum mehr das andere Ufer des Flusses, er ist so breit geworden. Die Wassertiefe kann jetzt bis 100 Meter betragen. Noch tiefer, bis 300 Meter, ist sie im Saguenay River. Hier vermischt sich das Süsswasser wieder mit dem von Norden her stossenden Salzwasser. Der riesige Parc Maritime, wie er genannt wird, weitet sich über das ganze Gebiet von Tadoussac aus und ist ein wunderschönes Naturparadies. Hier sind unzählig viele Walarten, Delphine und Robben zuhause, weil hier während den Sommermonaten sehr viel Krill wächst. Whale-Watching-Boote laufen den ganzen Tag ein und aus und bringen die Touristen dem Wunsch näher, einmal im Leben ein so imposantes Meeressäugetier abzublitzen.

Auch wir haben natürlich unsere Ferngläser bereit und geben die Illusion nicht auf, dass sich ein Wal für uns interessiert und, wenn wir mit der auf Sportfotografie eingestellten Kamera bereit sind, genau vor unserer Samuri einen Riesensprung macht und dazu natürlich noch die Luft ausbläst. So kompliziert dieser Satz klingt, so unwahrscheinlich ist es, dass wir es jemals schaffen werden, ein National Geographic Foto von einem Wal zu schiessen. Doch wir bleiben dran!

So wie die Wassertiefe wechselt, schwankt in diesem Gebiet auch die Luft- und Wassertemperatur von 6 bis 18 Grad. So flüchten wir für einen Tag in eine unberührte und warme Bucht des Saguenay Rivers und unternehmen eine dreistündige Wanderung zu einem Aussichtspunkt eines Pilgerweges. Das gibt wieder mal sicheren Boden unter die Füsse und Kontakt zu Mutter Erde. Am Ziel steht eine riesige Madonna, die über die vorbeifahrenden Schiffe wacht.

Und auch wir bitten sie, uns auf unserer Reise weiterhin so gut zu beschützen wie bis anhin.

Nach oben

0 Kommentar(e):

Kategorien

Letzte Kommentare

Diesen Blog abonnieren

Übersicht