Törnberichte

New England

  • Samstag, 6. November 2010
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Die Natur zeigt es deutlich, es ist Herbst geworden. Der kühle und neblige Regentag lädt mich heute ein, Rückschau über die vergangenen Wochen zu halten.

Kapitel 1: Zurück in den USA

Nach der nächtlichen Überfahrt von Canada in die USA wird uns ein absolut problemloses Einklarieren als Willkommensgeschenk bereitgehalten. So einfach haben wir uns das nicht vorgestellt, haben es aber gerne dankbar angenommen.

So setzen wir unsere Füsse noch an diesem Tag auf amerikanischen Boden, denn wir wollen die Mount Desert Island erkunden. Diese Insel bekam ihren Namen wegen ihrer kahlen Bergkuppen und wurde schon Ende des 19. Jahrhunderts zum Nationalpark erklärt, damit sie nicht kommerziell genutzt oder zerstört werden könnte. Um 1920 wurden 120 km Carriage Road angelegt, die damals den Pferdekutschen vorbehalten waren. Heute dienen sie überwiegend als Wander-, Rad- und Reitwege.

In Wanderausrüstung gekleidet und feinem Proviant am Rücken lassen wir uns mit dem gasbetriebenen Bus in die Hauptstadt Bar Harbour fahren. Ich darf meine Nase nur an die Scheiben der schnusigen Lädeli drücken..., wir können sonst Christians Marschplan nicht einhalten.
Der nächste Bus führt uns auf Einbahnstrassen der Klippen entlang und durch Wälder mit einer reichen Artenvielfalt an Bäumen zu unserem Ausgangsort der geplanten Route. Es herrscht richtiges Wanderwetter. Mit jedem Schritt und neuem tiefem Atemzug schweifen unsere Gedanken weiter weg und erinnern uns an vergangene Wanderungen in den geliebten Schweizer Bergen. Doch ein Rundumblick auf die fantastische Inselwelt und das schäumende Meer an deren Ufer bringt uns zurück in den Moment.

Gipfel gestürmt, die Aussicht eingesogen, im Herzen zufrieden und den Bauch gefüllt geht es schon wieder Richtung Tal. Der Bus muss uns ja zum Hafen zurück bringen. Vorher aber verwöhnen wir uns im gemütlichen Gasthaus mit diesem roten Tier mit vielen Krabbelbeinen und zwei harten Scheren :-).
Alles in allem - ein herrlicher Tag!

Zurück in unserem Alltag heisst es, wieder Weg zu machen, immer weiter Richtung Süden, der Sonne entgegen. Die Tage werden kürzer, die Nächte länger. So versuchen wir, mit dem Sonnenaufgang los zu fahren, um doch zwischen 30 bis 40 Seemeilen zurücklegen zu können und bei gutem Tageslicht den Anker wieder gesetzt zu haben.

Auf unserem Kartenplotter können wir unsere zurückgelegte Wegstrecke aufzeichnen. Im Staat Maine ergibt sich da ein lustiges Zickzackbild. Unser Weg ist nämlich oftmals Meilen weit bestückt von tausenden von Lobsterfallen. So unglaublich wir einen Lobster (eben dieses ulkige, rote Tier) geniessen, so unglaublich mühsam sind diese Bojen, an welchen die Lobsterkörbe hängen. Je nach Lichteinfall oder Wellengang sehen wir diese farbigen Bälle erst im letzten Moment. Und wir weichen aus, mal links, mal rechts... Und doch passiert es uns, dass sich öfters eine Leine in der Schiffsschraube verfängt. Hätte Christian nicht jedes Mal mit den Motoren so gekonnt reagiert, wäre ihm ein Tauchgang im ziemlich kalten Wasser nicht erspart geblieben.

Kapitel 2: Gäste

In Boston dürfen wir zwei Gäste aufnehmen, Christine und René Weder. Schon einige Zeit vor ihrem Besuch machte ich mir so meine Gedanken, womit ich unsere beiden Mitreisenden kulinarisch verwöhnen könnte. Die beiden führen nämlich im Kanton Zug das beste Gourmet-Restaurant. Nach reichlicher Überlegung komme ich zum Entschluss....., ich kann sie ja gar nicht verwöhnen. Ich koche doch einfach so, wie ich es immer tue. Und ich kann Dir sehr erfreut berichten: wir erlebten zusammen eine wunderschöne, unvergessliche und aufregende Zeit!

Apropos aufregend: das fängt mit Weders jeweils schon am Morgen an, wenn René im 10 Grad kalten Wasser seinen täglichen Morgen-Schwumm macht. Dann ist der Rest der Crew schon fast erledigt, weil sie sich um den Mann im mitreissenden Gezeiten-Strom Sorgen macht, der mit letzten Kräften zum Schiff zurückfindet. Oder es geht so weiter, dass der Captain der Samuri bei wildestem Wetter seine Route plant und seine Mitsegler in kabeligen Wellen auf ihre Seefestigkeit testet. Ich muss neidlos eingestehen, Christine und René sind seefester als ich!
Oder die Männer führen ihre geliebten Frauen auf der winddurchfluteten Insel auf wilden Wegen spazieren. Unser Glück ist doch, dass wir vor der Dunkelheit wieder auf der Samuri sind. Und so können wir uns während des Apéro's in gelöster Stimmung gemeinsam ums Nachtessen kümmern.
Natürlich schaue ich dabei dem Spitzenkoch immer wieder über die Schulter und locke ihm diesen oder jenen Tipp aus seiner Trickkiste.

Die Zeit vergeht so schnell und schon verabschieden sich unsere lieben Freunde wieder. Danke für die unvergesslichen Tage!

In Newport, einer recht versnobbten Stadt der oberen Zehntausend, trifft unser nächstes Crewmitglied ein, mein Sohn Michael. Mit ihm haben wir eine gute Woche Zeit, den Weg bis New York zurückzulegen und danach den Big Apple zu erkunden.

Kapitel 3: Boston und New York

Boston überrascht uns sehr. Es ist eine attraktive, freundliche, saubere, übersichtliche, pulsierende und lebendige Wirtschaftsmetropole. Ihre Bewohner kommen aus aller Welt und werden, je nach Sichtweise, als gebildet und kultiviert oder arrogant und elitär angesehen. 75 Universitäten mit 250`000 Studenten in und um Boston sorgen für einen überdurchschnittlich hohen Akademiker-Anteil der Bevölkerung.
Boston wirkt mit seinen roten, zwei- bis vierstöckigen Backsteinhäusern im viktorianischen Stil „very british“. Auch die hinzugekommenen Wolkenkratzer aus Glas, Beton und Granit verwischen diesen Eindruck nicht.
Einmalig ist der Freedom-Trail, der 5 km lange Freiheitspfad. Er führt unverfehlbar entlang einer roten Linie im Trotoir im Zickzack durch die Innenstadt an 16 historischen Gebäuden vorbei.
Unsere geplanten drei Aufenthaltstage hier reichen gerade für die wichtigsten Sehenswürdigkeiten aus. Doch Grossstädte haben das so in sich. Die Zeit reicht jeweils nur für eine Grobübersicht aus.

Ein erster Kreis hat sich für uns in New York geschlossen. Während wir im Juni die Skyline vom Hudson River aus bestaunten, laufen wir dieses Mal auf dem East River in den Big Apple ein. Nicht nur für Michael, auch für uns ist es nochmals ein besonderes Erlebnis. Michael knipst hunderte von Fotos und will diesen Eindruck in Bildern festhalten.

In den folgenden vier Tagen hält uns der bunte Mix unseres Städteprogramms auf Trab. Wir schlendern durch Quartiere, bestaunen die Aussicht vom Rockefellercenter aus, lassen uns in zwei Broadway Shows verzaubern, wählen ein paar Themen aus im Museum of Modern Art, „we shop till we drop“, und zu guter Letzt noch werden Michael und ich für 20 Sekunden in unserem Leben berühmt und erscheinen in ungeheurer Grösse auf der Leinwand am Time Square!

Kapitel 4: Fischen

Das Blatt hat sich gewendet: ab jetzt heisst es nicht mehr Fischglück, sondern Fischerglück!
Michael war schon als kleiner Bub ein passionierter Fischer (ob das wohl im Blut der Männer liegt?). Kaum auf der Samuri eingerichtet, sieht er an Bord Christians Fischerausrüstung und die variantenreiche Ködersammlung. Es ist beschlossen: auf jeder Fahrt wird gefischt und ich werde einen fangen!
Gut Ding will Weile haben. Anfänglich hat sich eher Seegras im Haken verfangen, als da ein Meerestier gebissen hätte. Doch am 4. Tag ist die Angelspule ausgerauscht. „Fisch“ !! dröhnt es aus all unseren Kehlen und die Nervosität steigt an. Fahrt verlangsamen, den ausrauschenden Silk der Angelrute mit der Bremse nur langsam stoppen, den Fisch müde werden lassen, den Silk langsam einrollen, Fäumer, Handschuhe und Basball-Schläger (wozu wohl!) bereitstellen... Das ist ein prächtiges Stück! Die beiden Männer arbeiten Hand in Hand und kurze Zeit später stehen sie mit dem 80 cm langen American Shad zur Starfoto bereit. Die Vorfreude auf ein leckeres Nachtessen ist gross. Und vernünftig, wie die Männer sind, wird beschlossen, für heute die Angelruten nicht mehr nach zu schleppen.
Und ich kann dir vergewissern, der barschähnliche Fisch ist ein absoluter Leckerbissen!

Das „Fischeis“ ist gebrochen. Das Blatt hat sich gewendet. Seit Michaels erstem Grossfischfang zieht Christian fast täglich eine Fischbeilage oder einen Hauptgang aus dem Atlantik.

Kapitel 5: Tage zum Feiern

Ende September feiern wir unseren Hochzeitstag. Ich schwelge in Erinnerungen, während mir eine Asiatin eine Thaimassage macht.
Ein Tag später kommt mein Geburtstag. Christian weckt mich frühmorgens mit Blumen und holdem Gesang! Ich fühle mich verwöhnt und geniesse meinen grossen Tag beim Segeln in der Sonne und abends bei wunderbarem Essen.

Solche besonderen Tage sind jeweils Momente für mich, in welchen ich mir viele Fragen stelle, wie zum Beispiel: braucht es immer einen besonderen Grund zum Feiern, um sich verwöhnt zu fühlen?
Was sind denn besondere Gründe?
Gilt es nicht, jeden Tag, den wir glücklich gelebt haben, zu achten und zu ehren?

Die Zeit vergeht so schnell und die Jahre werden weniger. So versuche ich täglich neu, das Leben zu einem fröhlichen Fest werden zu lassen. Und ich erlaube es mir, die vielen wunderbaren Momente eines Tages zu entdecken und sie als bereicherndes Geschenk dankbar anzunehmen.
Machst du mit?

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